Projekt
Kultur als Lebenshilfe
Kultur wird als Lebenshilfe verstanden, die Regeln für den Alltag und in schwierigen Situationen gibt.[1] Die kulturelle Prägung wirkt sich auch auf Erwartungen und Einstellungen im Alter aus. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen haben unterschiedliche Bilder vom Altern, die individuell durch gesellschaftliche Einflüsse ausgebildet werden und für die Bewältigung von Anforderungen von Bedeutung sind. Altersbilder, die die positiven Aspekte betonen, wie z. B. im Lebenslauf entwickelte Kompetenzen, ermöglichen auch eine positive Gestaltung des Lebens. Negative Altersbilder, die (gesundheitliche) Einschränkungen und Verluste in den Vordergrund stellen, können dazu führen, dass sich das Leben im Alter auf diese negativen Aspekte konzentriert und objektiv vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten nicht wahrgenommen werden und ungenutzt bleiben.[2] Im Alter orientieren sich Menschen besonders gern an Bekanntem und Vertrautem. Oft findet eine Rückbesinnung auf Religion, Familie und Angehörige der eigenen Ethnie statt, die »Sicherheit und Geborgenheit« bei zunehmender Hilflosigkeit und Sinnsuche vermitteln kann.[3] Allerdings sind die prägenden kulturellen Konzepte nicht nur sehr heterogen, sie unterliegen zusätzlich ständigen Anpassungsreaktionen.[4] Das kann von älteren Menschen mit Migrationshintergrund als konfliktreich und belastend empfunden werden.
Krankheiten bzw. Beschwerden, die bei ausländischen Staatsangehörigen (55 Jahre und älter)
und Deutschen (60 Jahre und älter) zur Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen führten.
Quelle: Älter werden in der Fremde: Wohn- und Lebenssituation Älterer ausländischer Hamburgerinnen und Hamburger. Sozialempirische Studie. Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Arbeit Gesundheit und Soziales (Hrsg), Hamburg 1998. [Eigene Auswertung]
Eine vergleichende Befragung in Hamburg weist ein höheres Vorkommen altersbedingter Krankheiten bei 55-jährigen und älteren ausländischen Staatsangehörigen im Vergleich zur 60-jährigen und älteren deutschen Bevölkerung aus, obwohl der Altersdurchschnitt bei den befragten Deutschen höher war.
Insgesamt 1.037 Ausländerinnen und Ausländer (384 Frauen und 644 Männer; bei 9 Personen fehlte die Angabe zum Geschlecht) wurden befragt. Sie stammten aus der Türkei (mit 477 Personen die größte Gruppe), dem ehemaligen Jugoslawien, Italien, Portugal, Polen und dem Iran.
Wegen Krankheit in ärztlicher Behandlung waren 62,6 % der befragten ausländischen Staatsangehörigen (Frauen 64,6 %, Männer 61,5 %), aber nur 46,5 % der befragten 1.410 Deutschen. Am häufigsten in Behandlung waren die türkischen Staatsangehörigen (76,7 %), am seltensten die italienischen Staatsangehörigen (29,8 %).
Auf die Frage nach der Art der Erkrankung als Behandlungsgrund wurden von den ausländischen Staatsangehörigen am häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rheuma genannt. Im Vergleich mit den Deutschen wurden fast alle Erkrankungen häufiger angegeben.
Für die Gruppe der älteren Menschen mit Migrationshintergrund wird ein deutlich steigender Pflegebedarf erwartet.
Mit einem Anstieg wird innerhalb der nächsten Dekade gerechnet, wenn ein Teil der 1. Generation der Arbeitsmigrantinnen und -migranten das 8. Lebensjahrzehnt vollendet. Der wachsende Pflegebedarf begründet sich zum einen auf die zunehmende Zahl von Menschen in dieser Gruppe, zum anderen auf die gesundheitlichen Belastungen, die sich in ihrem Arbeitsleben angehäuft haben.
Besonders Frauen mit Migrationshintergrund weisen im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung häufiger gesundheitliche Beeinträchtigungen auf und erhalten oft zu viele oder nicht angemessene Medikamente.
Im Mikrozensus des Statistischen
Bundesamtes gaben im Jahr 2005 insgesamt 114.700 Personen an, dass Leistungen
aus einer Pflegeversicherung überwiegend zu ihrem Lebensunterhalt beitragen.
Unter diesen Leistungsempfängerinnen und -empfängern wiesen 9,4 % einen
Migrationshintergrund auf.
In der aktuellen Pflegestatistik 2005 des Statistischen Bundesamtes[5], im Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland[6] wie auch im fünften Bericht zur Lage der älteren Generation finden sich keine weitergehenden quantitativen Schätzungen über den Pflegebedarf und die Pflegesituation von Menschen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen oder differenziert nach Geschlecht.
Die Ausrichtung der projektorientierten
Tätigkeit eine Selbsthilfegruppe in der Kroatischen Kulturgemeinschaft e.V.
Wiesbaden hat zum Ziel u. a. den Aufbau von mehrsprachigen Beratungs- und Koordinierungs-
sowie von internationalen Pflegediensten, mit dem Ziel, eine bessere Versorgung
älterer und von Pflegebedürftigkeit bedrohter bzw. betroffener Migrantinnen und
Migranten der ersten Generation zu gewährleisten. Die Projekte umfassen zielgruppenspezifische
Beratungsangebote, Gesundheitstraining (Anleitung zu körperlicher und geistiger
Bewegung) sowie verschiedene Freizeitangebote zur Vermeidung von Isolation.
by Ivica Košak
[1] Pfeiffer W (1996) Psychiatrie in der Begegnung der Kulturen. IMIS-Beiträge, Heft 4. Universitätsverlag Rasch, Osnabrück, S 25–40
[2] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg) (2001) Dritter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Alter und Geschlecht. Drucksache 14/5130. Berlin
[3] Müller-Wille C (2001) Zur Lebenssituation älterer Migranten. Lebensbiografische und familiendynamische Aspekte. In: Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (Hrsg) In der Diskussion: Älter werden in Deutschland. Fachtagung zu einer Informationsreihe für ältere Migranten. Bonner Universitäts-Buchdruckerei, Berlin Bonn, S 18–32
[4] Geiger I (1998) Altern in der Fremde. In: David M, Borde T, Kentenich H (Hrsg) Migration und Gesundheit. Zustandsbeschreibungen und Zukunftsmodelle.Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main, S 167–187
[5] Statistisches Bundesamt (2005) Pflegestatistik 2005, Teil I bis Teil IV http://www.destatis.de (Stand: 27.06.2007)
[6] Beauftragte der Bundesregierung für Migration Flüchtlinge und Integration (Hrsg) (2005) Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Berlin http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/ Bundesregierung/BeauftragtefuerIntegration/Service/
service.html (6. Ausländerbericht Teil I bis III) (Stand: 27.06.2007)